H.-J. Veen u.a. (Hrsg.): Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945

Cover
Titel
Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945.


Herausgeber
Veen, Hans-Joachim; Knigge, Volkhard
Reihe
Europäische Diktaturen und ihre Überwindung 20
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
294 S., 98 SW- und 33 Farb-Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Historisches Institut, Universität Paderborn

Ob eine Demokratie Denkmäler braucht, ist eine eher rhetorische Frage – sie hat sie ohnehin. Im öffentlichen Raum sind sie vielfach anzutreffen, ob zum ehrenden oder mahnenden Gedenken. Die Frage wäre also zu spezifizieren: Brauchen Demokratien eigene Denkmäler? Und wie gehen sie mit dem aus nichtdemokratischen Systemen, speziell aus Diktaturen übernommenen Denkmalserbe um? Beiden Fragen widmet sich der vorliegende Band, der aus einem Symposium der thüringischen Landeszentrale für politische Bildung (2013) hervorgegangen ist. Er versucht sich an einer Bestandsaufnahme von Denkmälern, die dem demokratischen Aufbruch von 1989 gewidmet sind, und fokussiert dabei auf Beispiele aus Deutschland sowie aus ostmitteleuropäischen Staaten. Den Anspruch eines breiten Überblicks zu den in diesem Zusammenhang entstandenen Denkmälern und Mahnmalen erfüllen alle im Band enthaltenen Artikel. Die meisten bieten darüber hinaus auch eine entsprechende Analyse der Entstehungszusammenhänge. Zahlreiche, teils farbige Abbildungen ergänzen die einzelnen Aufsätze.

Denkmäler müssen als „materielle Dokumente ihrer Entstehungszeit“ (Stefanie Endlich, S. 63) aufgefasst werden. Sie stehen nicht nur für bestimmte Werte, sondern wenden sich oft auch gegen etwas. Sie dienen nicht immer, aber meistens der Sinnstiftung und der Zementierung von Geschichtsbildern. Allerdings kann sich die Rezeption ihren inhaltlich-ästhetischen Normsetzungen entziehen. Das gilt selbstverständlich auch für die künstlerische Kreativität, die sich nur schwer mit einem den demokratischen Gesellschaften innewohnenden Proporz- und Kompromissdenken in Einklang bringen lässt. Was also sind die Spezifika demokratischen Gedenkens, beispielsweise im Vergleich zum „diktatorischen“ Gedenken? Verhindert der Pluralismus einer demokratisch verfassten Gesellschaft per se deren gemeinsames Gedenken – und entsprechende Denkmalsbauten?

Nähme man allein das Beispiel der Bundesrepublik, so könnte man den Schluss ziehen, die Zeit der Heldenverehrung sei vorbei, für ein ungebrochen positives Gedenken sei in der postmodernen Gesellschaft kein Platz. Vielmehr erforderten die Erfahrungen mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein mahnendes, höchstens mittelbar positives Gedenken als Absage an negativ besetzte Vergangenheiten. Und wenn dann einmal eindeutig positiv konnotierte Denkmalprojekte wie die Freiheits- und Einheitsdenkmäler in Berlin (Andreas H. Apelt) und Leipzig (Rainer Eckert) bzw. Erfurt (Peter Maser) in Angriff genommen werden, dann dauert ihre Fertigstellung unter Umständen so lange wie jene des Berliner Flughafens. Mehr noch: Es scheint ein Spezifikum der pluralistischen Gesellschaft zu sein, dass der öffentliche und zum Teil juristisch ausgetragene Streit um geeignete Entwürfe selbst als immaterielles Erinnerungserbe gelten kann. Dieser Befund wiederum kann nicht überraschen, denn es gehört zum Wesen von Denkmälern, dass sie mehrdeutig sind und der Interpretation des Betrachters bedürfen. Der Band zeigt wiederholt, dass Denkmäler zur Erbauungszeit vor allem Herrschaftssymbole darstellen, in denen die „Sieger“ der Geschichte – auch die demokratischen – bewusste Gedächtnismarker setzen. Dabei geht es letztlich um die Durchsetzung von dominierenden Geschichtsbildern im Rahmen eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses. Denkmalsetzungen sind und waren nie unumstritten, wie die einleitenden Bemerkungen von Hans-Joachim Veen, Richard Schröder und Christoph Cornelißen verdeutlichen.

Der Blick Richtung Osten zeigt jedoch, dass sich die dort entstandenen jungen Demokratien in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten häufig nationaler Heroen bedient haben bzw. noch bedienen und dabei vielfach auf vorkommunistische Epochen der nationalen Geschichte zurückgreifen. Besonders in den baltischen Staaten war das Verhältnis zur ehemaligen Sowjetunion ein wichtiger Impulsgeber für die Ausgestaltung und Aneignung von Denkmälern. Die Beispiele aus den einzelnen Ländern zeigen, dass es sich in den seltensten Fällen um ein rein „demokratisches“ Gedenken handelt. Vielmehr ist dieses häufig – wie in Lettland (Valters Nollendorfs) – von nationalen Schwingungen durchdrungen, die – wie in Litauen (Alvydas Nikžentaitis / Rasa Čepaitienė) – sogar die Oberhand gewinnen können. Zuweilen werden Demokratie und Nation gegeneinander ausgespielt bzw. in Stellung gebracht. Bei allen gemeinsamen Erfahrungen mit dem Kommunismus sind in den betrachteten Ländern nationalstaatliche Traditionslinien oder Traditionsbehauptungen für die demokratische Erinnerungskultur maßgeblich. Wenn auch die mentale Ausgangsbasis der Sinnstiftung und Identitätsbildung der Überlebenden als Gemeinsamkeit angesehen werden kann, so zeichnen sich die einzelnen nationalen Gedenktraditionen durch eine gewisse Heterogenität aus. Spezifische Einflussfaktoren bestimmten dabei die ästhetische bzw. kommunikative Symbolik der Gedenkrituale und der Denkmalsgestaltung in den einzelnen Ländern. Wichtige Einflussfaktoren für die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Gedenkstile konnten beispielsweise konfessionell-religiöse Gründe haben oder mit der Frage nach der Zentralität bzw. Dezentralität der Denkmalstandorte zusammenhängen. Das gilt für Polen (Krzysztof Ruchniewicz) genauso wie für Ungarn (Mária Schmidt). In Tschechien (Tomáš Vilímek) gesellt sich zum Gedenken an die Opfer der kommunistischen Diktatur das Gedenken an die Protagonisten des Widerstands. Dabei liegen negative und positive Erinnerung nah beieinander. Den Ereignissen von 1989 sind jedoch vergleichsweise wenige exklusive Erinnerungsorte gewidmet. Das gilt ähnlich für die Slowakei (Peter Švorc), wo eher des Ersten Weltkriegs und des Holocaust gedacht wird.

Aber auch Benennungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden sowie das Gedenken in Form von offiziellen Feiertagen sind Formen, die in ein ganzheitliches Konzept von „Erinnerungsorten“ mit einbezogen werden sollten. Einige Autoren wie beispielsweise Mária Schmidt zu Ungarn tun dies, indem sie sowohl das materielle als auch das immaterielle Erbe in den Blick nehmen. Peter Švorc diskutiert in seinem Beitrag über die Slowakei zusätzlich die Repräsentation von Gedenksymbolen auf Münzen und Geldscheinen. Dieser ganzheitliche Blick hätte den Überblickscharakter des Bandes auch für die anderen Beispiele befördert.

Erfreulich ist, dass die Abschlussdiskussion des Symposiums unter dem Titel „Braucht Demokratie Denkmäler?“ (Manuel Leppert) in dem Band dokumentiert ist. In dieser Diskussion werden mehrere äußerst denkmalkritische Stimmen laut, etwa von Michael Diers hinsichtlich der Freiheits- und Einheitsdenkmäler in Berlin und Leipzig (S. 269f.). Das regt dann doch dazu an, in dem gelungenen Band mehr als lediglich eine Bestandsaufnahme zu erblicken. Sein besonderer Gewinn liegt darin, verschiedene nationale Traditionen aufzufächern und damit auch vergleichbar zu machen – ohne dass die einzelnen Beiträge allerdings einen vergleichenden Ansatz verfolgen würden. Die Länderstudien geben einen profunden Überblick zur post-diktatorischen Erinnerungskultur an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert, einschließlich der Bruchstellen und offenen Fragen.